Presseinformationen Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern
Themenwoche Biodiversität – Interview mit Saatguthersteller Johann Krimmer

Portraitfoto von Johann Krimmer

Johann Krimmer

(26. Mai 2023) Freising - Biodiversität kann durch differenzierte Lebensräume zum Beispiel mit Blütenangeboten gelingen. Der Agraringenieur und Saatguthersteller Johann Krimmer erklärt, worauf es bei Blühmischungen ankommt, und warum sie so wichtig für den Erhalt und den Schutz der biologischen Vielfalt und des Artenspektrums sind.

Herr Krimmer, wozu werden Blühmischungen benötigt?
Blühmischungen sind wichtig für den Erhalt der Artenvielfalt und für die Ernährung der Insekten. Sie sind deshalb vor allem unter ökologischen Aspekten von Bedeutung z.B. für öffentliche Flächen, neue Biotope, Straßenbegrünungen und in der Landwirtschaft.
Warum regelt das die Natur nicht von selbst?
Unser Lebensraum hat sich durch die moderne Landwirtschaft stark verändert. Heutzutage wird viel größer strukturiert gearbeitet, viele kleine bewirtschaftete Flächen zusammengelegt. Alle Arbeiten werden in kurzen Zeitfenstern erledigt. Wenn ich an früher zurückdenke, wurden Wiesen in mehreren Etappen abgemäht. Heute wird alles an einem Tag runter gemäht, mit bis zu acht Schnitten pro Jahr. Da haben Wildblüten und -gräser kaum mehr eine Chance. Zudem hat sich der Anbau in der Landwirtschaft deutlich spezialisiert. Es gibt immer weniger Kulturen, häufig beschränkt auf Mais und Getreide. Damit ist auch das Nahrungsangebot von Insekten stark zurückgegangen. Hinzu kommt, dass viele Flächen nicht bewirtschaftet bleiben und veröden, sogenannte Sukzessionsflächen. Solche Böden verbuschen. Ähnliches lässt sich auch bei Bergwiesen beobachten. Werden dort Gehölze nicht entfernt, droht die Verbuschung der Almwiesen. Die Beweidung durch Schafe oder Ziegen könnte dem entgegenwirken. So hätten Wildblumen eine Chance, sich auszubreiten und Insekten wieder eine Nahrungsgrundlage. Ein weiteres Problem ist die zunehmende Versiegelung von Flächen durch Gewerbegebiete, Siedlungen und Straßenbau. Dadurch wird der Platz für Wildpflanzen immer weniger.
Wie lässt sich dieser Entwicklung entgegenwirken?
Es gibt bereits Gesetze, wie zum Beispiel das Bundesnaturschutzgesetz, das einen Ausgleich vorschreibt. Wo Flächen versiegelt werden, muss dafür eine ökologische Ausgleichsfläche geschaffen werden. In der Landwirtschaft spricht man von doppeltem Landverbrauch. Zusätzlich zur überbauten Fläche muss eine Biotopfläche angelegt werden. Ein weiterer positiver Trend ist beim Straßenbau zu erkennen. Die Begleitgrünflächen der Verkehrswege werden heute oft ökologischer und artenreicher begrünt, als das früher der Fall war. Es kommt mehr Vielfalt in die Landschaft. Und mit Kampagnen wie „Rettet die Bienen“ haben viele Kommunen angefangen, Blühflächen anzulegen. Angereichert mit Blumen und Wildkräutern, werden solche Flächen nur wenige Male im Jahr abgemäht. Damit profitieren die Insekten möglichst lange davon. Diese Beispiele zeigen, dass das Bewusstsein beim Thema Biodiversität deutlich gestiegen ist.
Welche Arten gibt es?
Unser Sortiment umfasst rund 350 Einzelarten. Deshalb möchte ich hier auch nur einige und deren Besonderheiten nennen. Viele Arten unterscheiden sich etwa nach den Bodenansprüchen. Typische Pflanzen einer Fettwiese sind die Wiesenflockenblume, Schafgarbe, Glockenblume, wilde Möhre, Wiesenblatterbse oder der Spitzwegerich. Im Magerrasen fühlen sich Kathäusernelke, Wundklee, Salbei, Heidenelke, der Kleine Wiesenknopf und Thymian wohl. Die Leguminosen, auch Hülsenfrüchtler, können sowohl magere als auch fette Böden vertragen. Beispiele dafür sind Kleearten wie zum Beispiel Feldklee, Bergklee oder Rotklee. Schwachwüchsige Kleearten wie Wund- oder Feldklee sind auf den mageren Böden so etwas wie Pioniere. Sie sind besonders anpassungsfähig und gegenüber anderen Arten im Vorteil.
Wie entsteht eine Blühmischung?
Jede Art wird separat auf einzelnen Feldern bzw. Parzellen angebaut. Nach dem Verblühen der jeweiligen Wildpflanze entstehen die erntereifen Samen. Wenn die Witterung trocken ist, wird das Saatgut abgeerntet. Wichtig ist, dass das streng getrennt voneinander geschieht. Die Samen werden dann vorsichtig mit teils selbst entwickelten Maschinen getrocknet, gereinigt, gesiebt und in verschiedenen Boxen gelagert. Beim Herstellungsprozess wird darauf geachtet, dass keine Vermischungen stattfinden. Nach Bedarf werden die Einzelkomponenten aus dem Lager entnommen, gewogen und im gewünschten Verhältnis nach einer vorgegebenen Artenliste für die Kunden gemischt und verpackt.
Was ist bei der Auswahl des Saatguts relevant?
Wichtig ist, dass in den jeweiligen Herkunftsregionen (für Deutschland sind 22 Herkunftsregionen festgelegt) nur zertifiziertes, heimisches Saatgut verwendet wird. Das heißt, es sollte aus der näheren Umgebung stammen. Heimisch, weil nur regionales Saatgut optimal an die örtlichen Standortbedingungen angepasst ist. Ausschlaggebend für die Abgrenzung der Herkunftsregionen ist u.a. die Bodenbeschaffenheit, die Höhenlage, das Klima und die Flora. Deshalb sammeln wir das Ausgangssaatgut ausschließlich in unserer Region, verarbeiten und vermarkten es hier. Wir kaufen auch nichts aus anderen Regionen dazu. Um eine möglichst große Bandbreite an heimischen Wildkräutern anbieten zu können, bauen wir auf einer Fläche von 120 Hektar rund 350 Wildkräuter an. In einer Mischung sind je nach Bedarf zwischen 30 und 60 Arten enthalten. In der Regel sind alle Arten verfügbar, nur in Ausnahmefällen muss eine Art erntebedingt ersetzt werden. Unser Betrieb befindet sich in der Herkunftsregion 16 „Unterbayerische Hügel- und Plattenregion“ und wird vom Verband Deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten e.V. (VWW) zertifiziert.
Worauf kommt es bei einer Aussaat an?
Neben der Qualität des Saatguts kommt es auf den richtigen Standort an. Ist die Blühmischung für einen Magerrasen oder eine Fettwiese bestimmt? Wird die Fläche beschattet? Auch die Nutzung und der Pflegeaufwand sind relevant. Werden Tiere gehalten oder ist nur eine ökologische Fläche vorgesehen? Soll die Wiese mehrmals, nur einmal im Jahr gemäht oder sehr extensiv gepflegt werden? Solche Fragen sind essenziell bei der Zusammensetzung der Blühmischungen. Bei Flächen zum Beispiel für Photovoltaikanlagen ist es wichtig, dass sich die Blühmischungen aus niedrigen Pflanzen zusammensetzen, damit die Module nicht beschattet werden. Im Straßenverkehr dürfen Pflanzen kleine Verkehrsteiler oder Hinweisschilder nicht verdecken. Die Pflanzen eines Kreisverkehrs sollten dagegen höherwüchsig sein, damit eine Sichtbarriere gebildet werden kann.
Wann sollte man die Blühmischungen ansäen?
Für den Erfolg der Ansaat einer Blühmischung sollten bestimmte Zeitspannen beachtet werden. Im Frühjahr gilt Ende März bis Ende Mai als guter Zeitpunkt einer Aussaat, im Sommer von Mitte August bis Ende September. In den besonders heißen Sommermonaten Juni bis August sollte eine Aussaat eher vermieden werden. Ungünstig kann der Zeitpunkt auch für Aussaaten im Oktober bis November sein. Ähnlich wie bei Winterweizen kann Frost die Aussaat schädigen.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit?
Der Erfolg bei einer Blühmischung hängt neben der Qualität des Saatguts, der richtigen Ansaat auch von der späteren Pflege der Fläche ab. Das bedeutet, dass auf wüchsigen Standorten etwa zwei- bis dreimal geschnitten werden muss, auf mittleren Standorten ein- bis zweimal und auf Magerrasen ist häufig auch nur einmal ausreichend. Wenn diese drei Faktoren passen, erzielt man auch das gewünschte Ergebnis. Der Vorteil von Grünflächen mit Blühmischungen besteht darin, dass man weder Dünge- noch Pflanzenschutzmittel einsetzen muss. Die Natur regelt das von selbst. Hinzu kommt, dass Mischungen mit einem hohen Verwurzelungspotenzial hilfreich für den Humusaufbau sind. Humus wiederum speichert CO2 im Boden. Blühmischungen dienen deshalb nicht nur den Insekten, sondern haben viele weitere positive Eigenschaften im Sinne der Biodiversität.